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  Link zum einem 7-minütigen Video mit Ausschnitten aus
"Beyond Fire-Konzert für 8 Diaprojektoren",
LIGHBEATS und KlangFarbe (Performances mit Jörg Kallinich):

Video: Jörg Kallinich's Performances



Infotext:
Spontaneität und Improvisation in der Dia-AV

 2.  Improvisationen für Auge und Ohr


Dieser Text ist als 2. Teil eines 3-teiligen Essays von Jörg Kallinich in der Zeitschrift AV-Tipp (Heft 3/2004) erschienen. Hierin wird dargestellt, wie man mit der Diaprojektion ein hohes Maß an Flexibilität erzielen kann, um diese im Sinne der „visual music“ mit Livemusik zu kombinieren.


Bei Diaprojektionen kann es spannend, sinnvoll, ja in manchen Fällen geradezu notwendig sein, mehr oder weniger stark auf vorherbestimmte Abläufe zu verzichten und ein hohes Maß an Spontaneität und Flexibilität anzustreben. Das klassische Diaporama ist in den meisten Fällen vorprogrammiert, zumindest liegt es aber in der Natur der Sache, daß die Diareihenfolge normalerweise durch die vor der Aufführung in Magazinen einsortierten Dias festgelegt ist. Um eine Diaprojektion in Konzerte oder sonstige Performances mit teilweise unvorhersehbaren Abläufen einzubinden, müssen also ein paar Kniffe angewendet werden, mit denen man die Flexibilität erhöhen kann. Zudem ergeben sich spezifische Anforderungen an die Bildauswahl, wenn man bei der offenen Herangehensweise auf eine Hierarchie von Bild und Ton verzichten und beide Ebenen konsequent als gleichwertige Partner agieren lassen will. Einige Details des hier dargestellten, aus dem Live-Zusammenhang heraus entwickelten Projektionskonzepts sind sicher sehr speziell und subjektiv, die Grundlagen dürften aber als Anregung auch für die Gestaltung von programmierten Dia-AV-Schauen mit Musik von Tonband, CD oder Festplatte interessant sein.


Die Dia-AV als Performance in Kombination mit Live-Musik

Ich selber befasse mich seit 15 Jahren mit der Dia-AV (ursprünglich als Diaporama mit 2 Projektoren). Von Anfang an habe ich dazu tendiert, die Dramaturgie, den Inhalt und das Timing in meinen Diaporamen der zugrundegelegten Musik (zunächst von Platten oder CDs) unterzuordnen, denn es liegt ja in der Natur der Sache, daß eine bereits komponierte und produzierte Konserven-Musik relativ unflexibel ist. Dagegen konnte ich als AV-Produzent meine Diaserien leicht und flexibel an die Vorgaben anpassen, die ich mir selber durch die einmal ausgewählte Musik auferlegte. Somit waren die Diaporamen als visuelle Interpretationen vorgefundener Musik zu verstehen. Wollte ich umgekehrt vom Bildmaterial ausgehen, so war ich mehrfach gezwungen, dazu passende Soundtracks selber zu konzipieren und einzuspielen. Aus Interesse an spontanen Enstehungsprozessen und aus Liebe zur Improvisationsmusik bin ich vor 10 Jahren dazu übergegangen, mit Möglichkeiten der Spontaneität und Improvisation in der Diaprojektion zu experimentieren – überwiegend im Zusammenhang mit improvisierter und experimenteller Live-Musik. Daraus ergeben sich neue Freiheiten, da das visuelle Geschehen ebenso den Musikern als Inspiration dient, wie ich auch in der Projektion auf die Musik reagieren kann. Im Folgenden möchte ich eine mögliche Herangehensweise an eine Kombination von Diaprojektion und  Musik sowie einige der in mehr als 100 audiovisuellen Konzerten gewonnenen Erfahrungen darstellen.

A und V: Gleichberechtigung von Bild und Ton ?
Wenn bei einer Dia-AV auf gesprochenen Text verzichtet wird und der Ton sich ausschließlich auf Musik beschränkt, dann besteht die Wahrnehmung potentiell zu einer Hälfte aus dem Hören der Musik und zur anderen Hälfte aus dem Betrachten der projizierten Bilder. Die Kunst der Dia-AV besteht darin, beides so in einen gemeinsamen Ablauf zu bringen, daß sowohl die visuelle als auch die auditive Wahrnehmung aus der Kombination profitiert und Bild- und Tonwahrnehmung in den Köpfen des Publikums zu einer Einheit verschmelzen.. Wenn ich dem AV-Publikum ein Erlebnis mit hoher Intensität bieten will, dann kann ich dies am schlüssigsten mit einer Kombination von ausdrucksstarker Musik und ausdrucksstarker Projektion tun. Bei der Kombination von Bild und Musik ist es allerdings eher üblich, daß entweder Diaschauen (oder sonstige Projektionen, insbesondere denke ich da auch an Kinofilme) durch Musik begleitet werden, oder es wird umgekehrt Musik durch Dias bzw. Film untermalt. Meist muß sich also entweder das auditive oder das visuelle Medium unterordnen um einem in der Hierarchie höher stehenden Medium zu dienen. Dafür gibt es drei offensichtliche Gründe:

a) Der agierende (bzw. dominierende) Künstler ist entweder Diakünstler oder Musiker, aber selten beides.

b) Das Publikum besucht die Veranstaltung entweder als Konzertpublikum oder als Dia- (bzw. Kino-)Publikum, hat also gegenüber einem der beiden Teilmedien ein höheres Maß an Erfahrung und einen offeneren Zugang.

c) Entweder das Bildmaterial oder die Musik ist üblicherweise zuerst da und wird somit zur Vorgabe, der sich das andere Medium unterordnen muß.

Mit meinem Konzept einer improvisierten Diaprojektion im Konzertzusammenhang versuche ich stets, solche Hierarchien aufzubrechen. Da Musik und Projektion zur gleichen Zeit entstehen und ähnlichen Gesetzmäßigkeiten gehorchen, soll keines von beidem zu einer Untermalungsfunktion degradiert sein.


Diaprojektion als Instrument der „visual music
Für die Kombination mit Livemusik, insbesondere mit improvisierter Musik ist es notwendig, daß die Diaprojektion (Tempo, Überblendcharakteristik, Intensität, möglichst auch das Bildmaterial) flexibel und spontan an die Vorgänge in der Musik angepaßt werden kann. Dies verlangt eine große Zahl an Projektoren und eine Echtzeitsteuerung. Mein Maximum lag bisher bei 16 manuell angesteuerten Projektoren und vier Projektionsflächen, aber mehr Spaß macht es mir bei 8 bis 10 Projektoren, die auf eine Fläche ausgerichtet sind. Eine Vorprogrammierung verbietet sich prinzipiell, da sich eine programmierte Schau bezüglich Rhythmus, Timing und Inhalt nicht an das Geschehen und an das Tempo in der Musik anpassen läßt (es sei denn, man verlangt umgekehrt von den Musikern, sich dem Geschehen auf der Leinwand unterzuordnen).
Wichtig ist für eine schlüssige Integration von Musik und Projektion, daß beide Komponenten den selben Gesetzmäßigkeiten und „Spielregeln“ gehorchen. Hilfreich ist es dabei, den Projektionsaufbau als ein Instrument aufzufassen, das man im musikalischen Sinne „spielen“ kann. Mit Hilfe von Schiebereglern und Tastaturen fällt es – wenn man sich in die Denkweise der Musiker hineinversetzen kann - nicht schwer, die Diaprojektoren synchron zum Rhythmus der Musik zu spielen und auf jegliche Wechsel in der Musik spontan zu reagieren. Zusätzlich zur Handsteuerung hat sich der Einsatz von 2 Fußpedalen (Eigenbau) sehr gut bewährt, um komplexere Abläufe erzeugen zu können. Mit der Diaprojektion können somit kontrastreiche Abläufe mit Themen, Variationen, unterschiedlichen Stimmungen, Rhythmen, rasanten Tempi und ggf. bizarren Brüchen ebenso erzeugt werden, wie man das auch von herkömmlichen Musikinstrumenten gewohnt ist.

Im Hinblick auf die Fingertechnik läßt sich die manuelle Projektorensteuerung am ehesten mit Klavierspiel, teilweise auch mit dem Spiel von Perkussions-Instrumenten vergleichen. Aufgrund der Tatsache, daß man eine große Vielfalt an vorgefertigten Fragmenten (eben die Dias) in einen individuellen Ablauf bringt, handelt es sich technisch gesehen um einen Sampler, wobei die Dias den einzelnen Samples entsprechen. Bei einiger Übung läßt sich die Projektionsapparatur auf einer intuitiven Ebene bedienen. Im Idealfall wirkt die Musik über längere Passagen hinweg sozusagen direkt vom Ohr in die Hände und gerät somit sehr unmittelbar auf die Leinwand. Die Wechselwirkung von Bild und Musik beschränkt sich dann nicht mehr auf eine streng rational erzeugte visuelle Interpretation eines Soundtracks. Vielmehr wird dann die Musik über eine unbewußte, intuitive Ebene viel direkter umgesetzt. Wenn es mir in einer Performance gut gelingt, mich der audiovisuellen Sogwirkung hinzugeben, schaffe ich es zeitweise, die getrennten Wahrnehmungsebenen von Hören und Sehen für mich selber miteinander zu verschmelzen. Der Versuch, den daraus resultierenden psychedelischen Zustand über den von der Musik angeregten Bilderrausch auf mein Publikum übertragen, ist für mich eine spannende Herausforderung.


Flexibilität bei der Bilderauswahl und Diareihenfolge
Je nach Konzeption der Performance kann die Reihenfolge der im Laufe eines Abends projizierten Bilderserien vorher festgelegt sein oder spontan während des Konzerts entschieden werden. Dazu ist es sinnvoll, mehr Bildmaterial auf Lager zu haben, als tatsächlich zum Einsatz kommt. Normalerweise stelle ich mir für ein abendfüllendes Programm ca. 1500 bis 2500 Dias bereit, von denen aber nicht alle projiziert werden.

Von einer starren Diareihenfolge (diese würde gezwungenermaßen mit improvisierter Musik kollidieren) kann man sich bei der Diaprojektion loslösen - durch den Einsatz vieler Projektoren, die alle auf dieselbe Projektionsfläche gerichtet sind. Dabei setze ich stets 6 „zentrale“ Projektoren ein. In den meisten Diaserien werden also je 6 aufeinander abgestimmte Dias (teilweise als Animationssequenzen) auf 6 Magazine verteilt. Die Projektoren 1 bis 4 dienen dabei häufig der Erzeugung zyklischer Rhythmusstrukturen, die durch besondere Akzente von den Projektoren 5 und  6 überlagert werden. Die Projektorenpaare 7 + 8 und 9 + 10 dienen dazu, in jedem beliebigen Zeitpunkt Zugriff zu zwei weiteren Diaserien zu haben, die sich formal, inhaltlich oder energetisch von den „zentralen“ Serien unterscheiden. Damit ist beim plötzlichen unvorhergesehenen Schluß in einem improvisierten Musikstück sowie bei einem radikalen Bruch im Charakter der Musik jederzeit gewährleistet, daß ein von der momentan aktiven Diaserie sehr verschiedenes Bildmaterial verfügbar ist. Auch wenn ich bei meinen alten Projektoren und der analogen Steuertechnik keinen wirklichen Random-Access-Zugriff zu allen einzelnen Bildern habe, so kann mit diesem Konzept doch ein spontaner Zugriff zu anderem Bildmaterial und somit ein Maximum an Flexibilität erzielt werden. Durch die gleichzeitige Verfügbarkeit mehrerer Serien können zudem die Magazinwechsel auf bis zu 6 Projektoren durch ruhigere, der Überleitung dienende Serien kaschiert werden. Bei Bedarf können über die Schieberegler und insbesondere mit Hilfe der Flashtaster mehrere Serien ineinander verschachtelt werden. Die starre Diareihenfolge kann somit jederzeit spontan aufgebrochen werden, ohne daß ein unkontrollierbares Chaos entstehen würde.


Drei in einer Reihe
Das Publikum sollte möglichst Blickkontakt zu den Musikern haben (und umgekehrt), gleichzeitig sollen die Musiker aber auch die Leinwand sehen, damit sie auf die Projektion reagieren können. Nur so kann es zu einer wirklichen Rückkopplung der audiovisuellen Komponenten kommen. Vor allem aber ist es nicht gut, wenn das Publikum sich ständig entscheiden muß, ob es lieber den Musikern zuschauen oder das Geschehen auf der Leinwand genießen will. Ich benutze daher gerne eine halbdurchlässige Leinwand (Gaze), die über der Bühnenvorderkante, zwischen Publikum und Musikern hängt. Man sieht die Musiker also an dunklen Stellen des Bildes fast klar durch die Uhren Replika Projektionsfläche hindurch, während die „Leinwand“ bei hellen Bildpartien doch ausreichend massiv wirkt. Um eine ausgewogene Balance in der Helligkeit zu erzeugen, ist es sinnvoll, die Musiker von der Seite mit dimmbaren Scheinwerfern aufzuhellen. Dann verschmelzen beide Ebenen (Musiker und Projektion) auch visuell. Außerdem braucht man unbedingt einen schwarzen Bühnenhintergrund, um Streulicht zu vermeiden.


Integration der Projektion in den kreativen Entstehungsprozess
Seit mittlerweile 10 Jahren arbeite ich daran, die Diaprojektion als gleichwertigen Partner in Musiker-Ensembles zu etablieren. Mein Bildmaterial und dessen Projektion soll dabei auf meine Mitmusiker einen ähnlichen Einfluß haben wie ein anderer Musiker. Umgekehrt lasse ich mich gerne anregen, Bilderthemen, die von den Musikern vorgeschlagen werden, in die Projektion einzubeziehen. Dies hat mir insbesondere in der Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Thomas Maos sehr ergiebige Diaserien, beispielsweise von Schrottplätzen, Schlachthöfen und anderen ungemütlichen Orten eingebracht.

Musiker reagieren erfahrungsgemäß i.d.R. stärker auf ihre Mitmusiker als auf die Projektion auf einer Leinwand. Allein das Miteinander unter ihresgleichen erfordert von den Musikern im Ensemblespiel ein hohes Maß an Konzentration, so daß sie nicht bewußt auch noch ständig das Geschehen auf der Leinwand beachten können. Im Laufe der Jahre habe ich mich deshalb daran gewöhnt, daß ich selber sehr stark auf die Musik reagieren muß, während Musiker meist nur in begrenzterem Maße und subtiler auf die Leinwand reagieren. Die beidseitige „Rückkoppelung“ zwischen Projektion und Musiker funktioniert erfahrungsgemäß am besten und am unmittelbarsten in der Duo-Konstellation (Projektion und ein Musiker), da der Musiker sich dann nicht noch auf weitere Mitmusiker einlassen muß.


Einsatzmöglichkeiten einer flexiblen Diaprojektion
Das Konzept einer live gespielten Diaprojektion mit mehr oder weniger stark ausgeprägter  improvisatorischer Komponente habe ich im Zusammenhang mit Live-Musik entwickelt und setze es in verschiedenen Ensembles und Projekten regelmäßig ein. Bei den beteiligten Musikern handelt es sich überwiegend um Künstler aus verschiedenen Bereichen experimenteller und improvisierter Avantgarde-Musik. Nicht in allen Projekten wird durchweg freie Improvisation praktiziert – je nach Projekt werden teilweise auch im Voraus erdachte Abläufe durch improvisatorisches Spiel innerhalb eines grob skizzierten Rahmens ausgefüllt, mitunter im Wechselspiel mit auskomponierten Passagen.

Im Theater konnten mit der selben Technik (allerdings mit exakt festgelegtem Bildmaterial und einstudierten Abläufen) projizierte Handlungsstränge mit dem auf der Bühne präsentierten Schauspiel Bild für Bild synchronisiert und in Rückprojektion in das Bühnenbild integriert werden.

In einer leicht abgewandelten Variante hat sich das Konzept auch für den Einsatz bei Partys und in Clubs mit elektronischer Musik bewährt - im Rhythmus der von DJs aufgelegten Musik kann man als DiaJ die Dias auf der Leinwand tanzen lassen, wobei die Bildauswahl hier wiederum spontan an die vom DJ ausgewählte Musik adaptierbar ist. Im Bezug auf Timing und Rhythmus halte ich die Diaprojektion für wesentlich flexibler als die meisten von VJs praktizierten Ansätze, bei denen nach meiner Erfahrung sehr häufig die Zeitstruktur vorproduzierter Videos mit dem Rhythmus der Musik kollidiert. Nachteil ist aber sicher der hohe Aufwand, 10 Diaprojektoren statt eines einzigen Videoprojektors zu installieren.

Die offene, spontane Herangehensweise möchte ich jedem AV-Schaffenden zum gelegentlichen Ausprobieren und Nachahmen empfehlen, da sie mit einem hohen Spaßfaktor verbunden ist und da sie nicht zuletzt als Inspirationsquelle auch für konventionelle AV-Schauen dienen kann. Wer nicht gleich zu einer Live-Band greifen will, aber vielleicht noch ein paar alte Schieberegler im Schrank hat, dem möchte ich folgendes Experiment empfehlen: Legen Sie doch mal eine für Sie neue, nie gehörte CD in Ihre Stereoanlage und lassen Sie sich gleich beim ersten Hören zu einer spontanen Diaprojektion inspirieren – ein Reaktionsspiel, das Spaß macht. Das Resultat wird wahrscheinlich nicht gleich auf Anhieb so makellos sein wie eine akribisch am Computer ausgearbeitete „komponierte“ und optimierte Diaschau, aber ein spannendes Experiment ist es allemal.

 

 
 
     
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